Ergebnisse und Nachtrag zu unserer Vesper-Veranstaltung ‚Menschenrechte aktuell‘: „Soziales Menschenrecht auf Wohnen für Alle – Wie weiter mit dem Volksentscheid?“ am 30.03.2023

Veranstaltung „Das Soziale Menschenrecht auf Wohnen für Alle – Wie weiter mit dem Volksentscheid?“ im Rahmen der monatlichen Vesper-Veranstaltungen „Menschenrechte aktuell“ (in Kooperation mit der Stiftung Haus der Demokratie, Humanistischen Union e.V., Internationale Liga für Menschenrechte und unserer Stiftung)

im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin

am Donnerstag, 30. März 2023 um 19 Uhr im Robert-Havemann-Saal wurde die Vesper von unserer Stiftung durchgeführt.

Aktueller Anlass: 59,1% der Berliner Wähler:innen hatten beim Volksentscheid für die Enteignung großer Wohnungsunternehmen im September 2021 gestimmt. Seitdem hat sich eine Expert:innenkommission mit der Umsetzbarkeit der Enteignung großer Wohnungsunternehmen und Möglichkeiten eines Vergesellschaftungsgesetzes beschäftigt. Auf der Veranstaltung der Eberhard Schultz Stiftung präsentierte der Stadtsoziologe Andrej Holm Ergebnisse des Zwischenberichts dieser Kommission. Anschließend ging es um die Frage, wie es jetzt mit diesem wichtigen Thema unter einer schwarz-roten Koalition weitergehen könne. Es diskutierten unter der Moderation von Stephanie Odenwald (ehem. GEW- Hauptvorstand):

  • SPD: Ülker Radziwill (ehem. Staatssekretärin für Mieterschutz und Quartiersentwicklung in der Berliner Senatsverwaltung, seit Mitte März 2023 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin)

  • DIE LINKE: Niklas Schenker (Sprecher für Mieten, Wohnen, Öffentlicher Wohnungsbau und Wohnungsbauförderungen, Rad- und Fußverkehr, Clubkultur)

  • Peter Schmidt, Mieterprotest Kosmosviertel

  • Achim Lindemann mit weiteren Vertreter:innen von „DW & Co enteignen!“ und #Mietenwahnsinn

Die Diskussion der Veranstaltung zeigt deutlich: In Berlin ist der Bedarf an Wohnraum so groß wie nie zuvor, gleichzeitig sind wir von der Verwirklichung des Menschenrechts auf Wohnen noch nie so weit entfernt wie heute, sprich der Versorgung der GESAMTEN Bevölkerung mit leistbaren Wohnungen, unabhängig vom Einkommen, so der §28 der Berliner Landesverfassung. Eine gezielte Strategie zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen ist also dringend erforderlich.

Die Kategorie „leistbarer Wohnraum“ spielt eine zentrale Rolle in der Debatte, insbesondere angesichts der drastischen Mietsteigerungen: Bei Neuvermietungsmieten hat sich die Miete von 6,55 (2010) auf 12,54 € (2021) fast verdoppelt, während im gleichen Zeitraum die Nettokaltmieten im Bestand seit 2010 von 5 auf 6,68 € gestiegen sind. Schaut man sich die Angebote an angemessenen Wohnungen an, die auch von den Wohnungssuchenden bezahlbar sind, so zeigt sich genau in diesem Segment auf dem Berliner Wohnungsmarkt ein drastischer Rückgang: Während 2007 noch ein Drittel der 190.000 Wohnungsangebote „leistbar“ waren, waren es 2021 nur noch 10% der 41.000 Wohnungsangebote. Bereits jetzt zahlen 90% der unteren Einkommensbezieher:innen mehr als 30 % ihres Einkommens an Miete.

Durch Privatisierungen ist die politische Einflussmöglichkeit auf die Miethöhe sehr reduziert worden. Die sozial regulierten Wohnungsbestände haben sich mehr als halbiert und liegen heute bei knapp 400.000 Wohnungen (gegenüber 850.000 in 1992). Der soziale Wohnungsbau nimmt an Bedeutung ab, immer mehr Haushalte fallen nach Fristablauf aus der Bindung heraus, in diesem Jahr allein 7.000. Neubau ist zur Schaffung zusätzlichen Wohnraums unverzichtbar, kann aber die Problematik der fehlenden leistbaren Wohnungen nicht lösen. Das Volumen an Wohnungen, die im Rahmen von Enteignung – so wie im Volksentscheid gefordert – unter öffentlichen Einfluss gelangen, könnte bis zu 220.000 Wohnungen umfassen und dürften in etwa dem Bedarf an Wohnungen entsprechen, deren Mieten zur angemessenen Versorgung zu senken sind.

Fazit: Eine Vergesellschaftung scheint ein alternativloser Beitrag zur Lösung der aktuellen Wohnungskrise in Berlin, ohne dass dies eine überdimensionale Verschuldung Berlins zur Folge hätte. Der Zwischenbericht der Expertenkommission zum Volksentscheid „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ ist auch eindeutig bezüglich der Rechtmäßigkeit von Enteignungen. Insgesamt geben die Zwischenergebnisse eher Anlass zur Hoffnung. Ein Rahmengesetz zur Enteignung, das der Umsetzung des Volksentscheids vorgeschaltet werden soll, stellt allerdings die Gefahr dar, die Hürden zu vergrößern und den Zeitraum, bis zu dem es zu Enteignungen kommt, nach hinten zu verschieben. Angesichts der galoppierenden Verknappung an Wohnraum und der dynamischen Mietsteigerungen käme diese Maßnahmen viel zu spät.

Last but not least hat der zuständige UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Ausschuss) auf der Grundlage des UN-Sozialpakts von 1966, von der Bundesregierung einen dringenden Zwischenbericht zu seiner scharfen Kritik an der Wohnsituation in Deutschland verlangt. Inzwischen liegt die Stellungnahme zwar vor, jedoch sind die geforderten Maßnahmen nach Expertenmeinung nicht realisiert worden. Bezeichnend ist auch, dass eine zentrale Forderung für die Umsetzung des sozialen Menschenrechts auf Wohnung nämlich einer belastbaren, detaillierten Statistik nicht einmal erwähnt wird. Auch deshalb bestehen große Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Versprechens der Bundesregierung.

Nachtrag: Inzwischen hat die Expertenkommission einen Abschlussbericht vor gelegt und kommt zum Schluss, dass eine Vergesellschaftung von Wohnungen großer Unternehmen auf Grundlage von Artikel 15 des Grundgesetzes möglich ist, wie berlin.de meldet.

 

Der Radiosender MEGA Radio hat eine Radio-Reportage zu unserer Vesper-Veranstaltung produziert und auf Sportify (digitaler Musikdienst) hochgeladen.
Anhören können Sie sich die Folge unter folgender Bezeichnung und Link:

MEGA Radio Reportage: Berliner Wohnungskrise – „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“,

Interview mit DIE LINKE und Stadt-Soziologe Andrej Holm – Info-Veranstaltung mit SPD und Berliner Mieter-Initiativen
https://open.spotify.com/episode/5MoxaaKWtfRSnGtLLTJyll