Bericht unserer jährlichen Veranstaltung mit der Verleihung des sozialen Menschenrechtspreises 2024 vom 21. November im Rathaus Schöneberg unter der Schirmherrschaft des Bezirksbürgermeisters von Tempelhof-Schöneberg Jörn Oltmann
In diesem Jahr hieß der Moderator André Nogossek, Vorstandsmitglied unserer Stiftung, die Gäste willkommen und übergab das Wort an Eberhard Schultz. Er leitete seine Rede „inmitten von schweren Stürmen national und internationalen Krisen und Kriegen“ mit einer Begrüßung der Anwesenden und einem Dank an die Vorstands- und Kuratoriumsmitglieder, die Mitarbeiter:innen und Ehrenamtlichen ein – ganz besonders auch an den Schirmherrn, der uns die schönen Räume – den Theodor-Heuss-Saal und die Brandenburghalle – zur Verfügung gestellt hatte. Es folgte das Grußwort des Bezirksbürgermeisters.
Eberhard Schultz, Vorstandsvorsitzender der Stiftung
Der Schirmherr Jörn Oltmann begann seine Rede mit den Worten: „Wie ich schon im letzten Jahr deutlich gemacht habe, sind für mich die Arbeiten in Ihrer Stiftung und das damit verbundene Engagement für unsere Gesellschaft von großer Bedeutung.“
Jörn Oltmann, Bezirksbürgermeister Tempelhof-Schöneberg
Außerdem betonte er das Thema Gesundheit und benannte einige Beispiele aus dem deutschen Gesundheitswesen, in dem leider immer noch vielfältige Diskriminierungsformen stattfinden. „Die Liste der Diskriminierungen ist lang und macht wütend. Das verbriefte Recht auf gleichberechtigtem Zugang zum Gesundheitssystem muss mit viel mehr Nachdruck eingefordert werden.[…] Ich hoffe sehr, dass trotz angespannter Haushaltslagen und steigender Kosten im Gesundheits- und Pflegesystem, Verbesserungen für die Patient_innen weiterhin möglich sind. Die Kraft der Umsetzung erreichen wir nur, wenn wir viele demokratische Kräfte bündeln, wenn die Zivilgesellschaft selbst ihre Rechte einfordert. Es braucht viel Energie, um gegen die eigene Resignation, Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten anzukämpfen. […] Unsere diverse Gesellschaft braucht Solidarität, braucht Hilfsangebote, braucht Qualitätskontrollen und Beschwerdeinstanzen. Vor allem aber braucht es engagierte Menschen, die sich für die gleichberechtigte Teilhabe aller einsetzen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin Kraft für Ihre Stiftungsarbeit und heute eine erfolgreiche Jahresversammlung.“
Im Anschluss daran folgte die Grußbotschaft unserer Kuratoriumsvorsitzenden Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth, die leider nicht persönlich teilnehmen konnte, vorgetragen von unserem stellvertretenden Kuratoriumsvorsitzenden, Nihat Sorgeç.
Nihat Sorgeç, stellv. Kuratoriumsvorsitzender,
beim Verlesen der Grußbotschaft der Kuratoriumsvorsitzenden
Rita Süssmuth, Kuratoriumsvorsitzende
Darin hieß es: „Der zunehmenden sozialen Spaltung kann und muss mit den sozialen Menschenrechten als Fundament und Richtschnur für demokratisches an den Menschenrechten orientiertes Handeln entgegengewirkt werden. Dazu ist die Bundesregierung völkerrechtlich verpflichtet. Auch die schwierige internationale Situation infolge des Ukraine-Krieges und im Mittleren Osten entbindet sie nicht von dieser Pflicht – ebenso wenig die tiefgehende Regierungskrise und die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Neuwahlen Ein wichtiger Schwerpunkt der derzeitigen Aufgaben der Stiftung ist deshalb die Erarbeitung eines NGO- Parallelberichts zum Staatenbericht der Bundesregierung an den UN-Sozialausschuss. Darin werden wir mithilfe unserer Expert:innen, Kooperationspartner:innen und vor allem der Betroffenen und ihrer Organisationen weiter intensiv arbeiten.“
Anschließend übergab der Moderator das Wort an die Referentin für den diesjährigen Fachvortrag Tanja Gangarova. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) mit dem Forschungsschwerpunkt Rassismus im Gesundheitswesen und hat eine langjährige Erfahrung in der Gesundheitsförderung von strukturell benachteiligten Communities (Deutsche Aidshilfe e.V.) und im Kontext der Community-basierten partizipativen Gesundheitsforschung. Der Titel ihres Vortrags lautete: „Gemeinsam gegen (rassistische) Diskriminierung beim Recht auf Gesundheit“.
Tanja Gangarova, (DeZIM)
In ihrem Vortrag betonte sie: „Gesundheit wird als fundamentales Menschenrecht betrachtet und ist ein essenzieller Aspekt menschlichen Daseins und gesellschaftlicher Teilhabe. Sie umfasst einen Bereich, in dem Menschen besonders vulnerabel und vielfach auf Hilfe und Hilfsnetzwerke angewiesen sind. Dementsprechend können Zugänge zur Gesundheitsversorgung und deren Qualität sowie medizinisches Wissen und medizinische Praktiken in vielen Fällen über Leben und Tod entscheiden. Zugleich spiegeln sich gesellschaftlicher Wandel und soziale Verhältnisse in der Gesundheitsversorgung wider und stellen diese vor unterschiedliche Herausforderungen.“ Im Fokus ihres Vortrages stand die rassistische Diskriminierung beim Recht auf Gesundheit, wobei sie zunächst den Zusammenhang zwischen dem Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit nach Artikel 12 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (sog. UN-Sozialpakt) mit der im Jahr 1969 von Deutschland ratifizierten Antirassismuskonvention (ICERD) betonte. Anhand einer Reihe von Fallbeispielen aus wissenschaftlichen Studien, die im NaDiRa-Bericht „Rassismus und seine Symptome“ zusammengefasst sind, benannte sie die durch Rassismus bedingten Ungleichheiten in unserem Gesundheitssystem, die zu eingeschränktem Zugang, ungleicher Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten und variierender Behandlungsqualität führen können. Sie erklärte: „Diese Beispiele machen deutlich: Um Rassismus und anderen Diskriminierungen in der Gesundheitsversorgung entgegenzuwirken, ist es notwendig, auf den Mikro-, Meso- und Makroebenen und unter Berücksichtigung verschiedener Akteur*innen anzusetzen. Eine wesentliche Rolle soll dabei auch die Stärkung der Patient*innenrechte und Patient*innenbeteiligung spielen“ – denn: Ideologien und Praktiken von Ausgrenzungen und Diskriminierungen hätten nicht nur Vertrauensverluste und somit Legitimationsprobleme für Demokratien zur Folge, sondern sich bereits zu einer Gefährdung der pluralen Demokratie in Deutschland entwickelt. „Die Menschenrechte sind an einer einzigen Eigenschaft verknüpft – sie gelten für alle Menschen. Nicht mehr und nicht weniger!“
Nach dem Fachvortrag kündigte unser Moderator den Höhepunkt des Abends an:
Die Verleihung des Sozialen Menschenrechtspreises 2024.
In Vertretung der erkrankten Jurykoordinatorin Gisela Romain hielt André Nogossek die Laudatio:
André Nogossek, Vorstandsmitglied
„Unter den auch in diesem Jahr wieder sehr zahlreich eingegangenen Bewerbungen hat die unabhängige Jury, bestehend aus Gisela Romain (Islam- und Erziehungswissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU-Berlin), Anette Koch (Romanistin und Germanistin, im Vorjahr mit „XENION – Projekt Wohnraum für Geflüchtete”, Preisträgerin des sozialen Menschenrechtspreises), Hamze Bytyci (Theatermacher, Pädagoge, Aktivist bei Roma Trial) und Reinhard Laska (Journalist, Redakteur beim ZDF), die sizilianische nicht-regierungs-Organisation Memoria Mediterranea ausgewählt. Vor dem Hintergrund der menschlichen Katastrophe um Geflüchtete vor der Küste Siziliens haben sich in der Organisation Memoria Mediterranea (MemMed) Expert*innen verschiedenster Professionen, wie Anthropolog*innen, Psycholog*innen und Jurist*innen zusammengefunden, um Menschen ehrenamtlich zu helfen. Anders als SOS Mediterranee e.V. , unsere Preisträger aus dem Jahr 2015, die Menschen aus Seenot retten, kümmern sich die Mitglieder*innen von MemMed um Menschen, die für gewöhnlich unbeachtet bleiben, die Hinterbliebenen von Geflüchteten. Dazu gehört die Unterstützung der Familien bei der Suche und Identifizierung von Verstorbenen, auch mit Hilfe von DNS-Analysen. Sie kümmern sich um die psycho-soziale Gesundheit der Hinterbliebenen und leisten Hilfestellungen gegenüber Behörden, sowie bei der Rückführung der Toten für eine menschenwürdige Beerdigung. Daneben sammelt und dokumentiert MemMed die Geschichten der Geflüchteten und trägt so zur Aufklärung über rassistische Praktiken an den europäischen Außengrenzen bei.“
In der Begründung der Jury hieß es weiterhin:
„Das ehrenamtliche Engagement der Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen der Memoria Mediterranea für eine Gruppe von Menschen, die ansonsten unbeachtet bleibt, versucht, eine Lücke zu schließen. Neben der Schließung einer „Aufmerksamkeitslücke“ geht es Ihnen ganz konkret um Unterstützung und Begleitung von Menschen, um deren physisches und psychisches Leid sich ansonsten niemand kümmert. Die auch für Aktivist*innen emotional belastende Arbeit verdient Anerkennung und Unterstützung, zu der die Verleihung des diesjährigen Sozialen Menschenrechtspreis beitragen soll.”
Damit wurde das bis zu diesem Moment gehütete Geheimnis gelüftet und die Preisträger:innen öffentlich bekannt gemacht, die sizilianische Organisation Memoria Mediterranea erhielt eine Urkunde, einen Pokal sowie einen symbolischen Scheck mit dem Preisgeld, das in diesem Jahr mit 2000€ dotiert war. Aus den Händen von Eberhard Schultz nahm Anette Koch, die Urkunde stellvertretend für Memoria Mediterranea in Empfang.
Es folgte eine mehrminütige Videobotschaft aus Sizilien. Darin heißt es:
„Liebe Leute! Mein Name ist Guiseppe Platania und ich bin Mitglied von MemMed, Memoria Mediterranea. Wir freuen uns sehr über diese Auszeichnung und es tut uns sehr leid, dass wir nicht mit Ihnen allen in Berlin sein können. Das Mittelmeer, das Sie hinter meiner Schulter sehen können, hat sich in die tödlichste Grenze der Welt verwandelt. Mehr als 30.000 Menschen haben zwischen 2014 und jetzt ihr Leben auf dem Meer verloren, und das ist nur ein kleiner Prozentsatz der wirklichen Zahl der Menschen, die ihr Leben verloren haben, da wir die genaue Zahl nicht kennen, aber sie ist natürlich viel höher. Unsere Aufgabe ist es, den Familien auf der anderen Seite des Mittelmeers dabei zu helfen, die Leichen ihrer Angehörigen zu identifizieren, zu bergen und möglicherweise zu überführen. Dies ist keine glorreiche Arbeit. […] Wir fühlen uns sehr geehrt, ihren Preis zu erhalten, da wir glauben, dass dieses Thema, so wichtig es auch ist, in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten ist. […] Aus diesem Grund glauben wir wirklich, dass dieser Preis, den Sie uns verleihen, uns zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind … dass Dinge möglich sind. […]
Aus diesem Grund danken wir Ihnen wirklich für diese Möglichkeit und für diese Chancen, und wir wissen die Bemühungen, die Sie in diese Sache stecken, wirklich zu schätzen.“
Preisverleihung an Memoria Mediterranea, stellv. an das Jury-Mitglied Anette Koch
Im Anschluss daran verlas unser Vorstandsmitglied Azize Tank MdB. a.D. eine Grußbotschaft zur Preisverleihung von Klaus Vogel, dem Gründer und Aktivisten von SOS Mediterranea und SOS Humanity, die uns am Tag unserer Veranstaltung erreicht hat:
„Lieber Eberhard,
liebe Azize,
liebe Anwesende und Unterstützer,
für die Verleihung des Sozialen Menschenrechtspreises an die sizilianische Organisation MemMed, die sich um die Schicksale von ertrunkenen und vermissten Geflüchteten auf dem Mittelmeer kümmert und deren Angehörige unterstützt, möchte ich Euch sehr herzlich danken. Es ist eine traurige und wichtige Arbeit, die den Vermissten und den Toten etwas von der Würde zurückgibt, die wir ihnen durch unsere unmenschliche europäische Abschottungspolitik tagtäglich verweigern. Wir verstoßen damit gegen die elementaren Regeln menschlichen Zusammenlebens und gegen den ersten Artikel unseres Grundgesetzes, der aus gutem Grund die Unantastbarkeit der Menschenwürde an die erste Stelle stellt. Danke dafür, dass Ihr den bedrohten, abgewiesenen und geschundenen Menschen und ihren Angehörigen mit Menschlichkeit und Mitgefühl zur Seite steht.“
Azize Tank MdB. a.D., Vorstandsmitglied
Zum Abschluss des offiziellen Teils bedankte sich Eberhard Schultz noch einmal ganz besonders bei allen Mitwirkenden – auch der Cellistin und Geigenbauerin Julia Dimitroff, die den Abend musikalisch begleitet hatte. Er lud zum anschließenden Austausch in der Brandenburghalle ein, wo Deniz Foodservice wieder ein köstliches Buffet vorbereitet hatte.
Links:
Rede von Jörn Oltmann Jahresveranstaltung Eberhard-Schultz-Stiftung 2024
Rede von Prof. Dr. Süssmuth Jahresveranstaltung der Eberhard-Schultz-Stiftung 2024
Bericht „Rassismus und seine Symptome“ von Nationaler Rassismus- und Diskriminierungsmonitor