Bericht von unserer Jahresveranstaltung 2022

Bericht von unserer Jahresveranstaltung 2022

unter der Schirmherrschaft der Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf Kirstin Bauch mit Verleihung des Sozialen Menschenrechtspreises 2022 am 17. Oktober 2022, dem Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut

 

Eberhard Schultz, Vorsitzender der Stiftung, eröffnete die Festveranstaltung mit einer Begrüßung der Anwesenden und der Gäste – u.a Horst Schmitthenner, früheres IG Metall Vorstandsmitglied – und einem Dank an die Vorstands- und Kuratoriumsmitglieder, die Mitarbeiter:innen und Ehrenamtlichen.  Er dankte insbesondere auch Roland Rahmig, den Schulleiter des OSZ Kraftfahrzeugtechnik für die Möglichkeit die Jahresveranstaltung im Veranstaltungssaal stattfinden zu lassen.

Eberhard betonte die Aktualität eines übergreifenden sozialen Menschenrechts: Das Menschenrecht auf soziale Sicherheit für Alle, wie es bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) proklamiert und im UN-Sozialpakt von 1966 völkerrechtlich verbindlich verankert wurde. Dieses sei, angesichts der rasant steigenden Preise für Lebenshaltungskosten, ein wichtiges Fundament zukünftiger Arbeit. Ein weiterer Schwerpunkt der aktuellen Arbeit sei der NGO-Parallelbericht zum Zwischenbericht der Bundesregierung an den UN-Ausschuss zum Thema rassistischer Diskriminierung.

Eberhard Schultz, Stiftungsvorsitzender ©Photography Tim Parks

Die besondere Bedeutung des diesjährigen Internationalen Tages zur Beseitigung der Armut lässt sich an der Botschaft des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres,  erkennen, der in Anbetracht der Krisen derzeit betont: „Wenn wir heute den Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut begehen, müssen wir einer bitteren Wahrheit ins Auge sehen: Die Welt macht Rückschritte. Durch COVID-19 wurden Millionen Menschen in die Armut gedrängt und die über mehr als vier Jahre hinweg hart erkämpften Fortschritte zunichtegemacht. Die Ungleichheiten nehmen zu. Die Volkswirtschaften haben ebenso wie die einzelnen Haushalte mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, dem steilen Anstieg der Lebensmittel- und Energiekosten und dem drohenden Schatten einer globalen Rezession zu kämpfen.   Gleichzeitig verursachen die Klimakrise und brennende Konfliktherde ungeheures Leid. Die ärmsten Menschen sind davon am stärksten betroffen…Der Internationale Tag für die Beseitigung der Armut ist ein Weckruf an die Welt. Das diesjährige Motto — „Menschenwürde für alle in der Praxis“ — muss als Aufforderung zu dringendem globalem Handeln verstanden werden. Wir müssen in Lösungen investieren, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen — in Gesundheit und menschenwürdige Arbeit, in Geschlechtergleichstellung und Sozialschutz und in veränderte Ernährungs- und Bildungssysteme. Wir müssen ein moralisch bankrottes globales Finanzsystem transformieren und allen Ländern Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und Schuldenerleichterungen verschaffen…Und nicht zuletzt müssen wir uns mit Tatkraft für die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung einsetzen.  An diesem wichtigen Tag wollen wir unser Bekenntnis zur Schaffung einer besseren Welt für alle erneuern. Verbannen wir die Armut in die Annalen der Geschichte!“

Nach diesen Zitaten übergab er das Wort an den Moderator, der durch die Veranstaltung führte: Hakan Taş, Politiker und früheres Mitglied des Abgeordnetenhauses.

Hakan Taş, Politiker und Moderator des Abends ©Photography Tim Parks

Er stellte das weitere Programm vor und hebt die Bedeutung der Arbeit der Eberhard-Schultz-Stiftung hervor: Was im Recht manifestiert ist, findet sich nicht immer im Alltag der Menschen wieder. Ein Leben in Würde ist in Deutschland möglich, aber nicht alle profitieren gleichermaßen von dieser Möglichkeit. Während die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinanderklafft, sehen wir die Schlangen vor den Suppenküchen immer länger werden. Mit den steigenden Energie- und Lebensmittelkosten rutschen immer weitere Bevölkerungsschichten in prekäre Lebensverhältnisse und können ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllen. Insofern ist das Menschenrecht auf soziale Sicherheit ein Thema, das angesichts der heutigen Krisen aktueller denn je erscheint. Daher freue ich mich über die wertvolle Arbeit der Eberhard-Schultz-Stiftung, die es immer wieder schafft, den Finger in die Wunde zu drücken.“

Unsere Veranstaltung fand unter der Schirmherrschaft der Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kirstin Bauch, statt. Auch sie betonte die Bedeutung der Arbeit der Stiftung, die sie in den Zusammenhang mit den politischen Bestrebungen des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf stellte und der hochbrisanten Lage der Frauen im Iran, wo man derzeit umso deutlicher sehe, wie wichtig und essentiell die Achtung und Einhaltung der (sozialen) Menschenrechte sei. Sie betonte: „Die Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation ist einzigartig und vorbildlich zugleich. Sie beharrt nicht nur in der Theorie auf den Menschenrechten und darauf, dass ihre elementaren Voraussetzungen dort geschaffen werden, wo sie fehlen, sondern sie arbeitet dafür ganz praktisch, mit viel persönlichem und finanziellem Einsatz.

Kirstin Bauch, Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf ©Photography Tim Parks

Im Anschluss folgte die Grußbotschaft derKuratoriumsvorsitzenden Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth, die leider nicht persönlich teilnehmen konnte, vorgetragen vom stellvertretenden Kuratioriumsvorsitzenden Nihat Sorgeç.

Nihat Sorgeç, stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender © Photography Tim Parks

Darin hieß es: „Der zunehmenden sozialen Spaltung kann und muss mit diesem sozialen Menschenrecht als Fundament und Richtschnur für demokratisches an den Menschenrechten orientiertes Handeln entgegengewirkt werden. Dazu ist die Bundesregierung völkerrechtlich verpflichtet. Auch die schwierige internationale Situation infolge des Ukraine-Krieges entbindet sie nicht von dieser Pflicht. Dies bedeutet aber nicht etwa, dass die Arbeit unserer Stiftung der letzten Jahre abgeschlossen ist. Das soziale Menschenrecht auf Gesundheitsversorgung ist in Anbetracht des kommenden Winters nicht außer Acht zu lassen. Auch die wachsende Bedeutung des sozialen Menschenrechts auf angemessenen Wohnraum für alle zu erschwinglichen Preisen gehört dazu.“

Rita Süssmuth, Kuratoriumsvorsitzende

 Nach diesen einleitenden, begrüßenden Worten gab Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer, ehemaliger Professor an den Universitäten Jena und Osnabrück und Autor des Buchs „Soziale Menschenrechte im Völker-, europäischen und deutschen Recht“ mit einem wichtigen Input-Referat eine gründliche Einführung in das Thema des sozialen Menschenrechts auf Soziale Sicherheit für Alle. Gerade im Zuge der immer stärkeren Inflation und der steigenden Preise für Lebensmittel, Gas und Strom zeigte der Experte für soziale Menschenrechte eindringlich auf, wo Möglichkeiten – aber auch Grenzen – der Politik liegen. Zur Verantwortung führte er aus: „Schließlich fordert das Recht auf soziale Sicherheit öffentliche Maßnahmen, um die Lebenshaltung der einkommensschwächeren Bevölkerungskreise zu sichern. Die tauglichen Mittel sind Preisregulierungen, öffentliche Zuschüsse, Steuervergünstigungen und Anpassung der Sozialleistungen. Für die Finanzierung sind statt mehr Schulden, mehr Steuern für die Besserverdienenden zu empfehlen.“

Prof. Dr. Eberhard Eichenhofer ©Photography Tim Parks

Eberhard Eichenhofer zeigte die Bedeutung des Menschenrechtes auf soziale Sicherheit für die Existenzsicherung unter den Bedingungen starker Steigerungen der Lebenshaltungskosten und Energiepreise auf. Er legte dar, dass sich Anpassungspflichten im Hinblick auf das Menschenrecht auf faire, insbesondere existenzsichernde Entlohnung aus dem Recht auf Arbeit ergeben. Auch das Recht auf Fürsorge, das die Sicherung der Elementarbedürfnisse zum Gegenstand hat, verlangt zwingend die Anpassung der Fürsorge an gestiegene Lebenshaltungskosten und Preise für Energie.

Dennoch gebe es Handlungsalternativen:  Die Eberhard-Schultz-Stiftung habe sich mit ihrer Kampagne und dem „Aufruf für Soziale Sicherheit für Alle“ verdient gemacht.

Im Anschluss an diese thematische Einführung bat Moderator Hakan Taş den Vorstand der Eberhard-Schultz-Stiftung nach vorne und fragte die Vorstandsmitglieder über die Beweggründe zur Gründung der Stiftung sowie über die Projekte des vergangenen Jahres und die kommenden Aufgaben der Stiftung. Besonders im Fokus stand dabei der Parallelbericht an den UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (ICERD), an dem die Stiftung derzeit gemeinsam mit Expert:innen und von Rassismus betroffen sowie deren Organisationen arbeitet.

Vorstandsmitglieder Azize Tank, Eberhard Schultz, André Nogossek, Klaus Kohlmeyer im Gespräch mit Hakan Taş ©Photography Tim Parks

Nach diesem lebendigen Austausch folgte die eindrucksvolle Lesung aus dem Roman von Gün Tank „Die Optimistinnen“ (S. Fischer Verlag, 2022), mit dem sie eine neue Perspektive auf das Leben und Wirken der sogenannten Gastarbeiterinnen in den 1970er-Jahren beleuchtet. Jung, optimistisch und motiviert sind die Protagonistinnen, die versuchen, dieses neue Land, in dem sie nun leben und arbeiten, allen Widrigkeiten zum Trotz mitzugestalten und neu zu formen – von unten und gegen den Widerstand der männlichen Autoritäten im Betrieb, Wohnheim und  in der Öffentlichkeit. Dabei werden sie auch mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert.

Gün Tank, Autorin ©Photography Tim Parks

Dieser eindrucksvolle Einblick in Leben und Kampf der sogenannten Gastarbeiterinnen war eine perfekte Überleitung zum Höhepunkt des Abends: zur  Verleihung des Sozialen Menschenrechtspreises 2022.

Dieser Preis wurde von einer unabhängigen Jury aus den eingehenden Bewerbungen ausgewählt: in diesem Jahr wurde er an die antirassistische Organisation KOP verliehen Hierzu zitierte Gisela Romain in Ihrer Laudatio aus der Begründung der Jury:

People of Colour (PoC) und Schwarze Menschen sind in Deutschland immer wieder Opfer polizeilicher Diskriminierung und auch rassistisch bedingter Gewalt. Dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, sondern vielmehr rassistische Praktiken und Strukturen auch bei der Polizei institutionell verankert sind, davon zeugt seit mehr als zwei Jahrzehnten die Dokumentation derartiger Fälle durch „KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“.

Gisela Romain, Jury-Mitglied und Laudatorin ©Photography Tim Parks

Damit wurde das bis zu diesem Moment gehütete Geheimnis gelüftet und die Preisträger:innen öffentlich bekannt gemacht. „KOP – Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ erhielt neben einer Urkunde und dem Award auch einen symbolischen Scheck mit dem Preisgeld, das in diesem Jahr mit 2000€ dotiert war.

Bei den Preisträgern 2022 handelt es sich um eine Kampagne, die aktiv gegen die Praxis des Racial Profiling vorgeht und unter anderem Opfer rassistischer Polizeigewalt mittels Rechtsberatung zu unterstützen versucht. Genau dafür, so Biplab Basu von KOP soll das Preisgeld auch genutzt werden.

Preisverleihung an KOP ©Photography Tim Parks

 Er betonte: „KOP stellt sich entschieden gegen die Legende vom bedauerlichen „Einzellfall“, wonach rassistische Polizeiangriffe und -übergriffe eine Ausnahme darstellten, die von wenigen Polizist*innen verübt würden. Denn die Praxis der Polizei basiert auch auf Gesetzen, Verordnungen und Anweisungen… Institutionalisierter Rassismus findet in der polizeilichen Praxis einen starken Ausdruck im Racial Profiling, einem Kernthema der Arbeit von KOP. Dem Racial Profiling stellen wir uns entgegen! Die systematische Verschleierung unverhältnismäßigen Handelns durch Anzeigen gegen die Opfer, Einstellungen von Ermittlungsverfahren und Nicht-Verurteilung der Täter*innen muss aufgedeckt werden. Wir setzen der Ohnmachtssituation eines Übergriffs praktische Solidarität mit den Opfern entgegen.“

Biblap Basu, Gründer und Initiator von KOP ©Photography Tim Parks

(vergleiche auch https://kop-berlin.de/ – siehe auch den Hinweis auf die positive Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Deutschland in dem Verfahren von Biplab Basu wegen Racial Profiling, die am Tag nach unserer Veranstaltung verkündet wurde!)

v.l.n.r: Gün Tank (Autorin), Doro Zinke (Kuratoriumsmitglied), Parto Tavanger (Mitarbeiterin KOP), Azize Tank (Vorstandsmitglied), Eberhard Schultz (Vorstandsmitglied), Klaus Kohlmeyer (Vorstandsmitglied), Biplab Basu (KOP), André Nogossek (Vorstandsmitglied), J. Tank (Botschafterin), Gisela Romain (Jurymitglied), Nihat Sorgec (stellvertretender Kuratoriumsvorsitzende) ©Photography Tim Parks

Anschließend kündigte der Moderator Rolf Becker an, den bekannten Schauspieler und Rezitator aus Hamburg. Er zog alle Gäste trotz fortgeschrittener Stunde mit dem Vortrag von einer Reihe von Berthold Brechts unvergesslichen Worten in Bann, die in die Geschichte eingegangen sind.

Rolf Becker ©Photography Tim Parks

„Wenn das bleibt, was ist

Seid ihr verloren.

Euer Freund ist der Wandel

Euer Kampfgefährte ist der Zwiespalt.

Aus dem Nichts

Müsst ihr etwas machen, aber das Großmächtige

Soll zu nichts werden.

Was ihr habt, das gebt auf und nehmt euch

Was euch verweigert wird.“

  • (Bertolt Brecht „Wenn das bleibt, was ist“ um 1936)

 

In seinem Schlusswort bedankte sich Eberhard Schultz noch einmal ganz besonders bei allen Mitwirkenden und rief dazu auf, die Arbeit der Stiftung zu unterstützen: „Wir brauchen vor allem noch mehr öffentliche Unterstützung für unsere wichtigen Anliegen, aber auch ehrenamtliche Helfer:innen und last but not least Spenden!“