Rechtsanwälte der Familie der vor 13 Jahren im Landgericht Dresden ermordeten Ägypterin Marwa El-Sherbini mahnen die Erfüllung wichtiger Aufgaben für die Justiz und Politik an

Das Verfahren vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistische Diskriminierung (ICERD) wird fortgesetzt und beim Landgericht Dresden eine Auskunft wegen der beunruhigenden Meldung verlangt, wonach der verurteilte rassistische Mörder schon bald frei kommen könnte.

 

Auf der diesjährigen offiziellen Gedenkveranstaltung zur Ermordung der Ägypterin Marwa El-Sherbini am 1. Juli vor 13 Jahren sprachen auf Einladung des sächsischen Justizministeriums in diesem Jahr zwei Rechtsanwälte der Familie von Marwa El-Sherbini: vor mir Rechtsanwalt Khaled Abou Bakr aus Ägypten und Paris, der die Familie bereits im Verfahren gegen den rassistischen Mörder vertreten hatte.


Obwohl es regnete, blieben die mehr als hundert erschienenen, interessierten Gäste bis zur anschließenden Kranzniederlegung und Schweigeminute und viele dankten uns ausdrücklich für unsere Beiträge. Sie versprachen, den weiteren Kampf auf juristischer und politischer Ebene zu unterstützen, damit der 1. Juli als der Tag des Antimuslimischen Rassismus auch den institutionellen Rassismus ins Visier nimmt.

Besondere Aufmerksamkeit erregten zwei aktuelle Entwicklungen:

die von mir angekündigte Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem UN Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtbehandlung der rassistischen Diskriminierung in den hiesigen Strafverfahren.

Die Meldung in einigen Medien, wonach der rassistische Mörder trotz seiner Verurteilung zur lebenslanger Haftstrafe mit besonderer Schwere der Schuld in Kürze möglicherweise wieder frei kommen könnte, sorgt bei der Familie und allen, die die Familie und ihr Anliegen unterstützen, für besondere Empörung.

Ich habe daher die notwendigen Schritte zur Fortsetzung des Verfahrens von dem Genfer UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung und die Auskunft über die mögliche Freilassung des Verurteilten inzwischen auf den Weg gebracht.

Gerne leite ich die Bitte der Familie aus Ägypten weiter, die Wiedergutmachung des ihr und allen Muslim:innen in dieser »mehrdimensionalen Tragödie« in Angriff zu nehmen.
Besonders erfreulich ist die in diesem Jahr erstmals parallel zur Dresdner Veranstaltung am 1. Juli durchgeführte Veranstaltung eines antirassistischen Bündnisses in Nordrhein-Westfalen, auf der ebenfalls ein Beitrag desunterzeichnenden für die Familie gesendet wurde.

(Die Dokumentation meines Redebeitrags auf der Gedenkveranstaltung vor dem Landgericht Dresden mit dem Sachverhalt und den Hintergründen siehe die folgenden Seiten sowie die Homepage www.menschenrechtsanwalt.de)

 

 

Beitrag Eberhard Schultz auf der Gedenkveranstaltung für Marwa El-Sherbini vor dem Landgericht Dresden am 01. Juli 2022 – dem Tag des Antimuslimischen Rassismus

 

Mein Name ist Eberhard Schultz, bekannt als Menschenrechtsanwalt, im internationalen Kontext tätig und deshalb von der Familie nach Beendigung des Verfahrens hier beauftragt worden, ihre Interessen vor deutschen Gerichten und auch international zu vertreten. Die Familie aus Ägypten lässt grüßen, kann aber hier leider nicht teilnehmen, hat mich, aber gebeten aus aktuellem Anlass noch einmal zu bekräftigen was sie schon in früheren Jahren, insbesondere vor dem UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung erklärt hat. Ich zitiere: „Wir weigern uns, uns mit der Bestrafung für die Mordtat zufrieden zu geben, während andere, die für die Tragödie mitverantwortlich sind, unberührt bleiben. Wir waren zutiefst verletzt. Wir möchten, dass dies bei keiner muslimischen Frau in Europa noch einmal vorkommt. Wir möchten unsere Würde schützen, da wir uns niemals wünschen, dass jemals jemand so viel Leid erfahren würde.“

Was sind aus der Sicht der Familie und der Betroffenen die wichtigsten Merkmale über die grauenhaften Details hinaus, die bekannt sind, wie das buchstäbliche Abschlachten der schwangeren Marwa, der lebensgefährlichen Verletzung des Ehemanns und das Miterleben durch das damals dreijährige Kind vor Gericht?

  1. Das beginnt schon bei der Urteilsbegründung, wonach der Verurteilte nicht „aus diffusen Rassismus“, sondern „aus blankem Hass“ gehandelt habe – eine abstruse Differenzierung. Wie ich den Akten entnehmen konnte, wurde der Täter von den Ermittlungsbehörden als verwirrter Einzeltäter behandelt, rassistische Hintergründe kaum überprüft und Verbindungen zu organisierten Neonazis vollkommen ausgeblendet, obwohl er ausdrücklich zur Wahl der NPD aufgerufen hatte.
  2. Auch das Verhalten der zuständigen Richter des Landgerichts Dresden wirft mehr als nur Fragen auf: Obwohl sie bereits Monate vor der Hauptverhandlung, ein Schreiben des Rassisten erhalten hatten, wonach die Islamistin, ich zitiere wörtlich, „kein Lebensrecht“ bei uns habe, haben sie es unterlassen, eine Durchsuchung dieses Rassisten vor Betreten des Gerichts oder des Gerichtssaales anzuordnen, bei der das Küchenmesser mit der 18 cm langen Klinge sicherlich gefunden worden wäre. Sie haben nicht einmal einen Justizwachtmeister zur Verhandlung hinzugezogen, der doch das Schlimmste hätte verhindern können. Sie sind auch nicht etwa dem Ehemann von Marwa El-Sherbini bei dessen Versuch, seine Frau zu schützen zur Seite zu gesprungen, zu Hilfe gekommen, (das ist ja auch vielleicht nicht jedermanns Sache so mutig zu sein), sondern haben sich darauf beschränkt, nach längerer Beobachtung den Alarmknopf zu betätigen.

Dann der nächste bedauerliche Fehler: Der zufällig im Gericht anwesende, durch den Alarm alarmierte BKA-Beamte, eilte zwar in den Gerichtssaal und versuchte zunächst, (was ja auch korrekt und seine Aufgabe ist), mit einem Warnschuss eine solche körperliche Auseinandersetzung zwischen zwei blutüberströmten nebeneinanderstehenden und aufeinander einprügelnden zu beenden. Als dies nicht half, feuerte er einen gezielten Schuss auf einen der beiden kämpfenden Männer ab aber auf wen? Nicht etwa auf den blonden Rassisten, sondern ausgerechnet auf den schwarzhaarigen Ehemann von Marwa, der lebensgefährlich verletzt wurde und ins Koma fiel.

Es dauerte eine Stunde bis der Rettungswagen kam. Die Richter unterließen es, Verwandte und Freunde der Familie, die Arbeitgeber der Apothekerin, Marwa war damals als Apothekerin hier im Arbeitsverhältnis, und das Max-Planck-Institut, wo ihr Ehemann eine Doktorarbeit anfertigte, ausfindig zu machen und zu informieren zu, was anhand der Akte ohne weiteres möglich gewesen wäre. Nicht einmal das ägyptische Konsulat wurde benachrichtigt. So erhielt die Familie erst durch Zufall später Kenntnis von dieser schrecklichen Mordtat. Also ist aus der Sicht der Familie keineswegs nur der verurteilte Rassist für diese „mehrdimensionale Tragödie“, wie sie es genannt haben, verantwortlich und wie sie es auch vor dem von mir angerufenen UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) wegen der unzureichenden Behandlung der Mordtat in Deutschland formuliert haben.

  1. Wer vielleicht meint, diese sträflichen Fehler seien auf besondere (damalige) Verhältnisse in Dresden zurückzuführen, der irrt. Bekanntlich erregte die schreckliche Mordtat seinerzeit kein besonderes mediales Echo und auf politischer Ebene wurde die Bundesregierung erst Wochen später aktiv, als massive Proteste und Demonstrationen aus Ägypten, die international Aufsehen erregten, auch bei uns bekannt wurden.

Auch das dürfen wir nicht vergessen: Den großen Mut von Marwa, den der Kollege eben schon erwähnt hat. Wenn jetzt nach mehr als zehn, dreizehn Jahren wenigstens der Park gegenüber des Landgerichts nach Marwa El-Sherbini benannt wird, könnte das ein erster Schritt zur Wiedergutmachung sein.

(4. Zu den Aktuellen Entwicklungen:)

Zur Beschwerde an den UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD):

Vor mehr als zehn Jahren habe ich, im Auftrag der Familie von El-Sherbini, beim zuständigen UN-Ausschuss, zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung, eine ausführlich begründete Beschwerde mit zahlreichen Dokumenten über die verschiedenen Verfahren eingereicht, aus denen sich die Verletzung der Vorschriften  und die rassistische Diskriminierung ergibt. Nach einer umfangreichen Korrespondenz ergaben sich vor mehr als fünf Jahren eine Reihe von Rückfragen: es ging insbesondere um Fragen nach der Ausschöpfung aller nationalen gerichtlichen Instanzen in Deutschland. Wir haben versucht, diese Fragen umfassend zu beantworten und die erforderlichen Dokumente zu übersenden.

Dann kam es zu einer bedauerlichen Entwicklung die als „Stillstand der Rechtspflege“ bezeichnet werden könnte – zuletzt auch wegen der Corona Maßnahmen: die Richter des UN-Ausschusses haben sich in unserem Fall, wie auch in einer Reihe von anderen Fällen darauf verständigt, dass sie keine virtuellen Sitzungen durchführen, sondern auf Sitzung vor Ort in Genf bestehen und diese dann erst durchführen, sobald dies wieder möglich ist. Deshalb werden wir das Verfahren zeitnah wieder aufgreifen können. Weil die deutsche Justiz es versäumt hat, in dem Verfahren die Mitverantwortlichen für diese „mehrdimensionale Tragödie“ zu Rechenschaft zu ziehen.

Eine weitere Entwicklung, die die Familie sehr beunruhigt: es gab eine Meldung in den Medien, wonach der zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld verurteilte, rassistische Mörder voraussichtlich in zwei Jahren freikomme. Dies erscheint nach meinen Erfahrungen mit dem Strafvollzug in vergleichbaren Fällen auch nicht ganz ausgeschlossen. Ich habe daraufhin das sächsische Justizministerium um genaue Informationen hierzu gebeten. Von dort wurde mir versprochen, diese Frage zu klären. Dies ist aber bis heute nicht geschehen. Wobei ich soeben die Nachricht erhielt, dass ich mich dazu direkt an das zuständige Gericht wenden muss und dies mache ich zeitnah. Ich glaube, wir können uns nur schwer in die Situation der Familie versetzen, die nach alledem, statt eine Wiedergutmachung zu erhalten, die diesen Namen verdient, derartige Alpträume durchmachen muss!?