Wahlprüfsteine für die Bundestagswahl 2025
Zur Bundestagswahl 2025 hat sich unsere Stiftung mit der Internationalen Liga für Menschenrechte zusammengetan und zur bevorstehenden Bundestagswahl Fragen zur Wahl entwickelt, um deren Beantwortung wir die Parteien auffordern. Dabei haben wir uns entsprechend den Schwerpunkten unserer Arbeit konzentriert auf: Umsetzung der sozialen Menschenrechte, das aktuell besonders wichtige soziale Menschenrecht auf Wohnen, sowie dem sozialen Menschenrecht auf Gesundheit und zum Themengebiet des strukturellen und institutionellen Rassismus. Wir sind und bleiben gespannt auf die Antworten, wie bereits in unseren vorangegangenen Wahlprüfsteinen und werden sie zum gegebenen Zeitpunkt auf unserer Website veröffentlichen.
1. Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU/CSU)
BlackRock ist die größte Kapitalorganisation des westlichen Finanzwesens, auch in Europa. Friedrich Merz war von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Tochterfirma BlackRock Asset Management Deutschland Aktiengesellschaft. Er hatte somit eine Leitungsfunktion innerhalb des Konzerns und unterstand der New Yorker Zentrale. In seiner Leitung hatte Merz die Aufgabe die Expansion von BlackRock in Deutschland voranzubringen.
Die enge Verbindung eines Spitzenpolitikers zu einem global agierenden Finanzgiganten wie BlackRock wirft erhebliche demokratische und wirtschaftliche Bedenken auf. Ein Kanzler mit solch tiefen Verbindungen könnte politische Entscheidungen treffen, die eher den Interessen großer Finanzkonzerne als denen der breiten Bevölkerung dienen. Dadurch besteht die Gefahr einer wachsenden Einflussnahme privater Kapitalinteressen auf staatliche Strukturen, was demokratische Prozesse untergraben, und soziale Ungleichheit verstärken könnte.
Was wollen Sie unternehmen, um zu verhindern, dass ein hoher BlackRock Funktionär deutscher Bundeskanzler werden kann? Sind Sie vorbereitet, mit uns zusammen auf allen Ebenen, also im Bundestag, den Institutionen, den Medien und mit NGOs, den Kampf aufzunehmen, falls er tatsächlich gewählt werden sollte?
2. Wohnen und Teilhabe
Der Verteilungsreport von 2024 spricht davon, dass jedem vierten deutschen Haushalt das Einkommen nicht mehr ausreicht. Gleichzeitig wird in einer Studie der Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbands, unter Berücksichtigung der Zahlen des statistischen Bundesamts, deutlich, dass 21,1 Prozent der deutschen Bevölkerung ein verfügbares Einkommen im Armutsbereich hat. In vielen Fällen ist dies zurückzuführen auf die hohen Ausgaben für Wohnraum. Die soziale Spaltung und die Schere zwischen Arm und Reich wird dadurch immer größer. Dies erschwert oder macht die soziale und kulturelle Teilhabe vieler Unmöglich sowie geht einher mit dem Anstieg von Kinderarmut.
Wie wollen Sie das soziale Menschenrecht auf angemessenen Wohnraum zu erschwinglichen Preisen für alle sicherstellen? Wie wollen sie bezahlbaren Wohnraum schaffen und erhalten?
3. Rüstungsexporte und Verteidigungsausgaben
Einem Bericht der Tagesschau zufolge gab Deutschland 2,12 Prozent des BIP für Verteidigungsmaßnahmen aus. Auch wird durch die Zahlen des Wirtschaftsministeriums deutlich, dass der Rüstungsexport von Deutschland 2024 so hoch wie nie war. „Schon 2023 erreichten die Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter einen Höchststand von 12,13 Milliarden Euro, der im vergangenen [2024] noch einmal um fast zehn Prozent übertroffen wurde.“
Die Rüstungsexporte sind grundsätzlich in Frage zu stellen und kritisch zu betrachten. Ein ausschlaggebendes Beispiel sind die Waffenlieferungen an Israel, trotz den offensichtlich von diesem Land ausgehenden und vom internationalen Gerichtshof verurteilten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dabei auch nicht zu vergessen ist das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord im Gazastreifen. Zwar wurden die Waffenlieferungen nach der Bekanntmachung der Anzeige gegen Deutschland vonseiten Nicaraguas vor dem IGH im April 2024 erst einmal stark reduziert, sind jedoch im August desselben Jahres wieder angestiegen.
Befürworten Sie eine weitere Steigerung der Rüstungsausgaben? Befürworten Sie Waffenlieferungen in Kriegsgebiete oder an Staaten, die offensichtlich ihre Waffen wiederum an Kriegsgebiete liefern? In welchen Fällen wäre das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
Auch ist der Klimaschutz durch die Rüstungsindustrie und im Allgemeinen durch militärische Aktivitäten bedroht. „Allein ein B-52 Kampfjet verbrauche in einer Stunde so viel Treibstoff wie ein durchschnittlicher Autofahrer in sieben Jahren. 200 Millionen Tonnen CO2 hat allein das Militär der NATO im Jahr 2021 produziert. Das entspricht in etwa den jährlichen CO2-Emissionen von Spanien.“
Wie vereinbaren Sie die Waffenlieferungen mit dem Klimaschutz – insbesondere angesichts des hohen Treibstoffverbrauchs von Militärflugzeugen, die nicht nur in Einsätzen, sondern auch regelmäßig für Manöver genutzt werden?
4. Es ist nicht zu vergessen, dass Kriege und Krisen in anderen Ländern auch lukrativ für die deutsche Wirtschaft sein können. Das beste Beispiel ist die Rüstungsindustrie und die damit verbundenen Steuereinnahmen.
Wie sehen Sie die Rolle Deutschlands in der internationalen Friedenskonsolidierung und der Kontrolle der Einhaltung von Friedensvereinbarungen und Vereinbarungen des Waffenstillstands?
5. Am November 2024 wurde das Urteil des Internationalen Strafgerichtshof veröffentlicht, welches den Haftbefehl von Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beinhaltet. Seit der Ratifizierung des Römischen Statuts im Jahr 2000 durch Deutschland, ist das Land verpflichtet, Urteile des IGH umzusetzen. Zwar gibt es die Möglichkeit, gegen die Entscheidungen zu intervenieren, jedoch muss dies auf einer soliden argumentativen Basis geschehen und darf keine doppelmoralischen Züge annehmen. „In Zeiten einer sich zunehmend spaltenden internationalen Gemeinschaft obliegt es den Staaten, eine Vision des Völkerrechts zu demonstrieren, die tatsächlich rechtsbasiert ist.“
Gedenken Sie das Urteil des IGH zu respektieren? Wenn ja, wie wollen Sie dies umsetzen? Wenn nein, wie gedenken Sie den Vorwurf der Doppelmoral abzuwenden?
6. Viele deutsche Unternehmen oder diejenigen, die in Deutschland einen Sitz haben, verlagern einen Teil oder ihre komplette Produktion in andere, oftmals kostengünstigere Länder. Dabei profitieren sie von niedrigeren Standards im Bereich des Arbeitsrechts sowie in vielen Fällen sogar von den in den Ländern herrschenden Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen. Aus diesem Grund wurde das Lieferkettenschutzgesetz eingeführt, welches Anfang 2023 in Kraft trat, und unter anderem eine Sorgfaltspflicht für Unternehmen (seit 2024 mit einer Größe ab 1000 Mitarbeitenden) vorschreibt. Diese Sorgfaltspflicht verpflichtet der Unternehmen zur Gewährung der Einhaltung von Menschenrechten in den unmittelbaren Zulieferer. Von Seiten der Zivilgesellschaft wird dieses Gesetz allerdings mit Sorge betrachtet, da es sehr lückenhaft und wenig bindend ist und vor allem die Sorgfaltspflicht nicht weitreichend genug ist, da meist die Menschenrechtsverletzungen in den „mittelbaren“, also nicht direkt angrenzenden Zulieferern stattfinden und somit die Realität nicht berücksichtigt wird. Andererseits wird von einigen Parteien eine Aufhebung dieses Gesetzes gefordert. Diese strukturelle Ausbeutung und Missachtung der Menschen- und Umweltrechte wird noch verstärkt durch verschiedene Freihandelsabkommen, die eine wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands mit besorgniserregenden Konsequenzen für andere Länder bedeuten.
Wie wollen Sie das Gleichgewicht zwischen sozialen und wirtschaftlichen Maßnahmen herstellen, ohne dies auf Kosten von Armut, sozialer Spaltung und Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern zu tun?
7. Im November 2023 hat der UN-Ausschuss zur Beseitigung rassistischer Diskriminierung (ICERD) zum aktuellen Staatenbericht der Bundesregierung in Genf seine Besorgnis, „dass friedliche Demonstrationen […] verboten werden” geäußert und festgestellt, dass eine „abschreckende Wirkung […] in Bezug auf die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf die derzeitige Situation in Palästina” herrscht. Dies wurde nun noch durch eine Resolution des Bundestages vom 07.11. 24 „Nie wieder ist jetzt, Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ verschärft. Dabei ist besorgniserregend, dass legitime Kritik an Israels Regierung als Antisemitismus ausgelegt wird und zu Kriminalisierung und Stigmatisierung führt. Dies verstößt klar gegen die Grundrechte.
Wie wollen Sie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit umsetzen, auch für diejenigen, die gegen die Politik der Regierung von Benjamin Netanjahu protestieren?
8. Der §218 Strafgesetzbuch besteht schon seit 1871 und auch wenn Veränderungen seitdem vorgenommen wurden, steht er doch weiterhin für die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und führt zu einer hohen Stigmatisierung der betroffenen Frauen. Sowohl von zivilgesellschaftlicher als auch von politischer Seite aus wird immer wieder eine Aufhebung des Paragraphen gefordert und es wurde auch ein Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt und nach einer Debatte nun dem Rechtsausschuss vorgelegt wurde – der sich allerdings Zeit für seine Entscheidung lässt.
Wie stehen Sie zum §218 StGB und dem Recht auf Selbstbestimmung? Welche Maßnahmen planen Sie zur konsequenten Entkriminalisierung?
9. Die Zahl der sich einsam fühlenden Menschen in Deutschland ist überragend hoch: „Etwa jeder Dritte in Deutschland fühlt sich zumindest teilweise einsam. Bei jungen Leuten unter 30 Jahren ist es sogar fast jeder Zweite.“ Die Folgen dieser Einsamkeit können verheerend sein und die derzeitige Lage eines stark ansteigenden rassistischen, ausgrenzenden und von Vorurteilen belasteten Systems ist eine klare Folge auch davon. Soziale Medien, Falschinformationen, auch von in der Öffentlichkeit stehenden Personen, und Ängste verschärfen diese soziale Spaltung noch.
Wie wollen Sie die immer mehr ansteigende Einsamkeit in der Gesellschaft eindämmen? Wie wollen Sie Aufklärung zur Abwendung von Stigmatisierung sicherstellen und Falschinformationen im analogen und digitalen Raum unterbinden?
10. Sowohl in international bindenden Regelungen wie der UN-Flüchtlingskonvention uvm., als auch im deutschen Grundgesetz ist das Recht auf Asyl im Artikel 16a verankert sowie in vielen weiteren Gesetzen. Allerdings wird auf europäischer und auch deutscher Ebene seit Jahren durch die Verabschiedung neuer Gesetze, aber auch durch einschränkende Praktiken an den Grenzen, immer weiter versucht, dieses Recht einzuschränken. Beispiel dafür sind die nicht rechtmäßigen Abschiebungen an den Grenzen, die sogenannten „Pushbacks“ als auch die Abschiebung einiger in andere europäische Länder. Auch wenn dies hohe Gerichte entscheiden und klare Bindungspflicht besteht, wird diese Praxis vom politischen Tenor fast aller Parteien gefordert und gefördert. Dass dies nicht nur in den Praktiken der Exekutive etwas macht, sondern mit der ganzen Gesellschaft, ist wohl nicht zu verdenken und auch nicht zu übersehen. Pro Asyl e.V. trifft es dabei auf den Punkt: „immer härtere Abschiebungsgesetze [führen] nicht zu einem Rückgang der Zahl der Ausreisepflichtigen oder zu wesentlich mehr Abschiebungen (…), sondern vor allem zu verstärkten Eingriffen in Freiheits- und Menschenrechte“.
Wie wollen Sie das fundamentale Recht auf Schutzsuchende geflüchtete Menschen sicherstellen und internationale, europäische sowie deutsche Rechtsprechung vollständig umsetzen? Wie wollen Sie die immer mehr voranschreitende Spaltung sowie die Vorurteile in der Bevölkerung bekämpfen, um die Menschenwürde der Menschen zu schützen und Diskriminierung zu unterbinden?
11. Die Zivilgesellschaft ist eine so wichtige Komponente, um verschiedenen oftmals marginalisierten Bevölkerungsgruppen eine Stimme zu geben, kritischer Gegenpol zur Regierung und anderen staatlichen Komponenten zu sein sowie Kontrollfunktionen für die Einhaltung von Grund-, Menschen- und Umweltrechten zu übernehmen. Weltweit sieht man die starke Bedrohung die gegen die Zivilgesellschaft gerichtet ist, sei es auf finanzieller, physischer oder psychischer Ebene uvm. Man nennt dies „Shrinking Civic Spaces“, also die Einschränkung der Handlungsräume. In Deutschland wird dieses Phänomen in den letzten Jahren auch immer deutlicher spürbar und spitzt sich immer weiter zu. Dies unterstreicht auch der CIVICUS Monitor, ein weltweiter Index der bürgerlichen Rechte, welcher Deutschland Ende 2023 zurückstufte und auch in ihrem Jahresbericht 2024 keine Verbesserung erkennen lässt.
Auch die Friedrich-Ebert-Stiftung macht deutlich, auf welchen Ebenen Einschränkungen und Repressionen von den Autoritäten sowie der Regierung ausgeübt werden, um die Zivilgesellschaft einzuschränken und ihr die unabhängige Stimme zu nehmen. Ein ausschlaggebendes und erschreckendes Beispiel ist die anhaltende Repression gegen pro-palästinensische und Israelkritische Organisationen und Bewegungen, die durch die schon angesprochene Resolution „Nie wieder ist jetzt, Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“, trotz fehlender rechtlicher Grundlage, noch legitimiert und verschärft wurde.
Wie gedenken Sie die Zivilgesellschaft in Deutschland zu schützen und ihnen das angemessene Mitspracherecht zu ermöglichen, ohne ihnen die Unabhängigkeit abzuerkennen und sie zu zensieren? Wie gedenken Sie, das Grundrecht auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu schützen?
Unsere Wahlprüfsteine als PDF finden Sie hier.